Das Thema Achtsamkeit hält immer mehr Einzug in die Arbeitswelt. Dabei wird Achtsamkeit vielfach im Sinne von Jon Kabat-Zinn so verstanden: „Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment, ohne zu bewerten.“ Als aktueller Gesundheitstrend findet diese Form der Stressbewältigung, die auch in unserer Uniambulanz vermittelt wird, ihren Weg immer öfter auch in betriebliche Gesundheitsprogramme. Kursangebote zu Yoga, Meditation oder Qigong finden sich immer häufiger in den Portfolios der betrieblichen Gesundheitsförderung.

Im aktuellen iga.Report (Ausgabe 45), der unter der Federführung von Dr. Maren M. Michaelsen zu einem Großteil am Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung entstanden ist, zeigen Gesundheitsforschende auf, welche Wirkungen verschiedene Formen von Achtsamkeitstrainings speziell im Arbeitskontext haben können.

Wirksamkeitsanalyse

Die Analyse der Wirksamkeit ist komplex: Zum einen gibt es verschiedene Definitionen für Konzepte der Achtsamkeit, zum anderen basieren viele bisherige Forschungsergebnisse auf überwiegend subjektiven Einschätzungen der Teilnehmenden.

Auf Basis einer umfangreichen Literaturrecherche, die 105 relevante und methodisch hochwertig angelegte Studien zum Thema hervorbrachte, haben die Forschenden die verschiedenen Achtsamkeitsinterventionen in acht Gruppen eingeteilt. Diese ließen sich jeweils zur Hälfte einteilen in achtsamkeitsbasierte Verfahren (MBSR-Kurse, modifizierte MBSR-Kurse, Meditationskurse und weitere achtsamkeitsbasierte Verfahren) und in achtsamkeitsinformierte Verfahren (Atemtrainings, ACT-basierte Programme, bewegungsorientierte Programme und multimodale Programme).

Ergebnisse

Die Wirksamkeitsanalyse zeigt: Nahezu alle Programme zeigen eine deutliche Wirksamkeit in Bezug auf Aspekte der psychischen Gesundheit. Vor allem das individuelle Stresserleben wird durch die Achtsamkeitstrainings stark gesenkt. Eine mittlere bis starke Wirksamkeit auf andere Parameter, vor allem auf physische und physiologische Gesundheitsparameter, das Wohlbefinden, die Erholungsfähigkeit, die Selbstreferenz und Selbstregulation (unter anderem die Achtsamkeit selbst) und die arbeitsbezogenen Faktoren (z. B. Burnout-Risiko), konnte vor allem für MBSR-Kurse und bewegungsorientierte Verfahren wie Yoga gezeigt werden.

Weitere Erkenntnisse aus der Analyse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Im Vergleich zu persönlich durchgeführten Achtsamkeitstrainings ist die Wirksamkeit digitaler Angebote ähnlich gut. Vor allem das Stresserleben, die Arbeitszufriedenheit und das Burnout-Risiko wurden durch digitale Interventionen sogar deutlich stärker verbessert. Demgegenüber wurde Achtsamkeit selbst etwas weniger gefördert als bei analog durchgeführten Interventionen.
  • Gruppenbasierte Formate scheinen gegenüber individuell durchzuführenden Achtsamkeitstrainings erfolgreicher zu sein. Zwar zeigte die Analyse, dass auch App-basierte Achtsamkeitstrainings wirksam sind, die vorrangig ohne Gruppen arbeiten. Allerdings scheint es doch gerade im Arbeitskontext, der auch einen sozialen Raum darstellt, sinnvoll zu sein, Achtsamkeit in Gruppen zu üben. Das Setting einer Gruppe lädt aufgrund des sozialen Charakters in den meisten Betrieben, Branchen oder Berufsgruppen geradezu dazu ein, Achtsamkeitstrainings auch dazu zu nutzen, zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Empathie in einem Miteinander praktisch zu üben.
  • Mikrointerventionen, also besonders kurze Achtsamkeitstrainings von weniger als fünf Stunden Gesamttrainingsdauer, zeigen eine deutlich schlechtere Wirksamkeit im Vergleich zu längeren Interventionen.

Etablierung von Achtsamkeit in Betrieben: Ergänzungen aus der Praxis

Über die Literaturanalyse hinaus wurden für den iga.Report viele Interviews mit Achtsamkeitsexpertinnen und -experten aus Wirtschaft und Wissenschaft geführt, um die Ergebnisse aus der Literatur zu ergänzen. Hier ergeben sich insbesondere die folgenden Aspekte als Voraussetzungen für die Etablierung von Achtsamkeit in einem Betrieb:

  • Eine passende Betriebsstruktur: u. a. repräsentativer Ort der Achtsamkeit (z. B. „Raum der Stille“) sowie repräsentative Organisationseinheiten (z. B. „Referat für Achtsamkeit“).
  • Eine etablierte Betriebskultur: u. a. eine wertschätzende statt allein gewinnorientierte Intention der Führungsebene, außerdem Protagonistinnen und Protagonisten, die das Thema repräsentieren und vorleben.
  • Eine geeignete Programmstruktur: u. a. Freiwilligkeit, adäquate Kostenbeteiligung, wertschätzende Atmosphäre.